— Paragraphien

Dort, wo es weh tut

Heart of Darkness

Je länger die Amtszeit Donald Trumps andauerte, desto vehementer stellte man sich weltweit, vor allem aber unter US-amerikanischen Liberalen, die Frage: Wie und warum konnte dies eigentlich passieren? Wie konnte es einem Immobilienmakler ohne jede politische Erfahrung gelingen, eine Konkurrentin wie Hillary Clinton zu bezwingen, die das Einmaleins des Politikgeschäfts von Grund auf gelernt hat? Wie war es möglich, dass ausgerechnet ein Sozialdarwinist erster Güte sich erfolgreich zum Kandidaten des einfachen Mannes von der Straße stilisieren konnte?

Hinsichtlich der Beantwortung dieser Frage ist es eher unwahrscheinlich, dass es schlicht daran lag, dass über 48 Prozent der Wähler bloß dumm, rückständig oder vom russischen Geheimdienst manipuliert waren. Oder daran, dass Hillary Clinton nicht unbedingt die bestmögliche Kandidatin der Demokraten war. So einfach ist der Erfolg von Donald Trump nicht zu erklären.

Vielmehr ist wohl eher ein wenig Selbstkritik im liberalen Lager angebracht: Schließlich haben sich die progressiven Eliten in den vergangenen Jahrzehnten primär mit eher akademischen Fragestellungen wie der nach der kulturellen Hegemonie oder nach sexueller Identität befasst, anstatt mit den Auswirkungen, die ein entfesselter globaler Markt auf die Leben der sozial Benachteiligten hat.

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Dieses „Elfenbeinturm-Problem“ machte es wiederum den ökonomischen Eliten leichter, von sich selbst und den positiven Auswirkungen der entfesselten Märkte für sie abzulenken und stattdessen Akademiker, Intellektuelle und Medien als das Feindbild der wirtschaftlich Marginalisierten zu stilisieren.

Aber auch dieser Gedankengang greift noch zu kurz, da er nicht vollständig erklären kann, warum sich besagte Unterprivilegierte in ihrer Not ausgerechnet zu jemandem hinwandten, der sie doch eigentlich so offenkundig verachtet. Dieser Problematik geht die renommierte Soziologin Arlie Russell Hochschild in ihrem jüngsten Buch nach.

Während des Vorwahlkampfes verließ sie das kalifornischen Berkeley, um ins südliche Lousiana, quasi die konservative Wildnis, zu fahren. Dort vergiften petrochemische Konzerne seit Jahrzehnten die Umwelt, während sich die Lokalregierung gegen jede Form von Regulierung sperrt.

Hochschild ging dort nicht hin, um den Menschen ihren reaktionären Lebensstil vorzuhalten, sondern vielmehr, um ihnen genau zuzuhören. Und stieß dabei auf ein großes Paradox: Denn viele der dortigen Konservativen und Populisten wollen im Prinzip das gleiche wie auch die Liberalen, nämlich eine saubere Umwelt, sichere Lebensverhältnisse und insgesamt ein besseres Zusammenleben aller Amerikaner.

Dabei sind wenige von ihnen offen rassistisch oder ausländerfeindlich. Vielmehr engagierte sich ein großer Teil für den Umweltschutz und hat unter der Geschäftspolitik der Konzerne gelitten. Jedoch erwarten sie einfach von Demokraten, Bundesregierung und Behörden nichts mehr. Nichts Gutes jedenfalls. Zu oft wurden sie, aufgrund des Machtgefüges von Industrie und Politik, schlicht und einfach in ihren Bedürfnissen und Sorgen übergangen, während die großen Konzerne quasi machen können, was sie wollen, ihre Gewinne jedoch ganz woanders investieren.

Tatsächlich sind dabei die Anhänger Bernie Sanders und die populistischen Konservativen im tiefen Süden gar nicht so weit voneinander entfernt. Sie alle stehen den Großkonzernen skeptisch gegenüber, sie alle profitieren von Medicare, und sie alle hassen es, von Behörden bevormundet zu werden.

Entscheidend ist freilich etwas ganz anderes: Freiheit und Individualität werden für die Vertreter der Mittelschicht im südlichen Louisiana allein durch ihren Arbeitsplatz gesichert. Sie haben einfach nicht die Wahl, woanders hinzugehen. Und wollen es zumeist auch nicht. Dafür nehmen sie dann in Kauf, dass sie, wenn sie für die großen Ölkonzerne, die eben die fast ausschließlichen Arbeitgeber sind, arbeiten, genau das Land zerstören, das sie doch so innig schützen wollen.

Die Gesprächspartner von Hochschild sind sich dieser Problematik sehr wohl bewusst, was wiederum zu großer Wut, Trauer und Frustration führt. Und somit in gewisser Weise letztendlich zu Donald Trump. Mit ihrem Buch gelingt Arlie Hochschild ein verständnisvolles und zugleich kritisches Psychogramm einer Welt im permanenten Widerspruch und wer es liest, wird die Wähler Trumps ein wenig besser verstehen, unter anderem auch, weil die Autorin auf Augenhöhe mit ihnen und nicht nur, quasi von oben herab, über sie spricht.

Arlie Hochschild: Fremd in ihrem Land, Campus 2017.

 

Erschienen in: der Freitag 36 / 2017