— Paragraphien

Der doppelte Peter

Hach, Kino! Seltsame Blüten, die Du manches Mal treibst! Stellen Sie sich vor, Peter Maffay würde in einer recht groß budgetierten deutsch-asiatischen Filmproduktion mitwirken und in dieser einen in die Jahre gekommenen Gaststättenbesitzer aus dem halbweltlichen Millieu darstellen, der sich, bereits von Demenzerscheinungen heimgesucht, auf in den Süden Chinas macht um dort in Namen und Auftrag seiner Tochter Rache zu üben.

Klingt merkwürdig? Vor allem aber unwahrscheinlich? Nun, das ist es wohl auch. Gut, dass unsere französischen Nachbarn da etwas aufgeschlossener sind oder auch einfach nur ein anderes Verständnis von Obskurität haben. Dort nämlich ist Derartiges sehr wohl möglich. Nehmen Sie einfach den obigen Plot und ersetzen Sie Deutschland durch Frankreich und Peter Maffay durch sein dortiges Equivalent und schon sind wir bei dem im Jahre 2009 von Johnnie To gedrehten Vengeance.

Johnny Hallyday nämlich, der im kulturellen Kanon unserer europäischen Nachbarn wohl nicht nur die Stelle des Peter Maffay, sondern gleichzeitig auch noch die des Peter Kraus besetzt, spielt eben diesen alten halbseidenen Herren, dessen Tochter (dargestellt von Sylvie Testut, die manch einer vielleicht noch aus Jenseits der Stille kennt) als einzige das Massaker an ihrer (und somit auch seiner) Familie überlebt. Und da sie mit einem Hongkong-Chinesen verheiratet ist/war, trägt sich das Ganze eben dort und im benachbarten Macau zu.

[…]

Durch diese schillernde Kulisse, die aufgrund ihrer Kolonialvergangenheit aussieht wie eine historisch gut erhaltene portugiesische Stadt, bloß dass man deren gesamte Einwohnerschaft durch Chinesen ersetzt und sie dann vor die Tore von Las Vegas umgesiedelt hat, tapert also nun unser Held. Denn Macau hat sich mittlerweile mithilfe einer künstlich aufgeschütteten weiteren Insel zu einem eben solchen Las Vegas für den asiatischen Kontinent entwickelt. Sollte es Sie einmal dorthin verschlagen, empfehle ich jedoch eher, die Zeit vor Ort mit dem Probieren der verschiedenen lokalen Keksspezialitäten oder einem Besuch auf dem christlichen Seefahrerfriedhof zu verbringen. Doch das nur am Rande.

Er tapert also und versucht den Dingen auf den Grund zu kommen (wobei er sich aus Demenzgründen mit Beschriftungen auf Fotografien und schließlich auf den Dingen selbst behelfen muss – ich frage mich die ganze Zeit, woran mich das erinnert?) und sieht dabei aus wie eine Wachspuppe, die man zusätzlich einbalsamiert hat, was ein wenig von den dominant schwarz gefärbten Haaren ablenkt. Dabei trägt er natürlich einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und einen Burberry-Trenchcoat. Den aber immerhin aus der aktuellen Kollektion. Und einen Hut. Und eine Sonnenbrille.

Überhaupt: Die französische Vorstellung bzw. Codierung des „cool“ im US-amerikanischen Sinne. Nehmen wir Melvilles Le Samouraï mit Alain Delon – funktioniert heute absolut nicht mehr. Der Trenchcoat, der Blick etc. Und dann all diese antiquierten Vorgänge, ein riesiger Bund mit Dietrichen, um ein Auto kurzzuschließen, die antiquierten Waffen usw. Dieses Referenzsystem ist aber in gewisser Weise immer noch exakt das gleiche, in Frankreich, anders wäre Johnny Hallyday nicht möglich, und anders wäre auch Johnny Hallyday in diesem Film nicht möglich. In gewissen französischen Kreisen reicht es ja auch immer noch, eine Lederjacke zu tragen, um als Mitglied der Unterwelt betrachtet zu werden. Die Durchlassschwelle, was das Zeichensystem der Zugehörigkeitsattribute angeht, ist dort viel niedriger.

Das ist aber alles nicht schlimm, der Anachronismus verlagert sich ohnehin nur. Denn für den asiatischen Blick wiederum ist ohnehin alles Europäische per se Versatzstück und Klischee und somit das Überzeichnete, das wir an Taper-Johnny wahrnehmen eher noch ein systemischer Vorteil, der die Figur im Kontext besser funktionieren lässt und eben als Stelle im System (der coole Killer aus Europa) noch klarer definiert. Und dann spricht er auch noch Englisch mit französischem Akzent.

Den jedoch hört man in der deutschen Synchronisation natürlich nicht, was aber vielleicht in diesem Falle gar nicht von Nachteil ist, da das Ganze in seiner Camphaftigkeit vielleicht doch zu sehr überzeichnet wirken würde. Hinzu kommt dann noch der übliche bescheuerte deutsche Zusatztitel. Der immer eher abschreckt, als Interesse weckt. Ob es da eine Lobby gibt, oder einen Geheimverein? Oder sind die jeweils Zuständigen wirklich immer so blöd? Oder halten das Publikum für so blöd? Man weiß es nicht.

Das alles ist natürlich unglaublich obskur, aber gerade so und deshalb funktioniert es: Als eine dieser seltsamen Fußnoten der Filmgeschichte, die man gerade wegen ihrer Seltsamkeit im Gehirn behält und vielleicht auch ins Herz schließt. Ich werde ihn mir wohl heute Nacht noch einmal anschauen. Schon alleine wegen der Choreographie des nicht ganz finalen Shootouts mit Quadern aus gepresstem Altpapier.

 

Zuerst erschienen auf freitag.de