— Paragraphien

Hinter den Spiegeln oder Weltpolitik für Dummies

Fangen wir doch heute einmal ausnahmsweise mit einer Plattitüde an. Und zwar der folgenden: „Die besten Geschichten schreibt das Leben.“ Worauf beispielsweise der Literaturwissenschaftler fragen würde: „Ja klar, wer denn sonst?“. Einer der vielen unterhaltsamen Aspekte von Plattitüden und auch Klischees ist aber ja, dass sie zumeist einen wahren Kern in sich bergen. Unser heutiges cineastisches Glanzstück, welches ich hier völlig ironiefrei derart bezeichnen möchte, nimmt die narrativ ohnehin vollkommen schwammigen Grenzen zwischen Fiktion und Realität, die doch immer nur mehr von einem frommen Wunsch nach einer leichteren Erfassung der Komplexität unserer Welt als von tatsächlich vorhandenen Trennlinien zeugen, und schleudert sie verknotend über die Hecke, hin zum Nachbarn, der dann mal sehen kann, was er damit anfängt.

Oder, etwas weniger schwurbelnd: „Der Krieg des Charlie Wilson“ erzählt eine in ihrer Absurdität absolut ausgedacht wirkende Geschichte, die aber wohl nichts weniger ist als die Darstellung der praktischen Geschehnisse und Verquickungen, die in den 80er-Jahren zum Widerstandskrieg in Afghanistan und schließlich zum Rückzug der russischen Truppen geführt haben. Der 2010 verstorbene Charles Nesbitt „Charlie“ Wilson (Tom Hanks) nämlich, damals texanischer Kongressabgeordneter, ist in seiner Funktion zunächst hauptsächlich damit beschäftigt, die Vorteile eben dieser zu genießen und den Hedonismus, den ein solches Leben im Washington dieser Epoche bietet, in vollen Zügen auszukosten. Zufällig jedoch gerät er auf einer eigentlich nur pflichtgemäß abgehakten diplomatischen Reise nach Pakistan in ein Flüchtlingslager von Afghanen, die vor der einmarschierten Roten Armee Zuflucht suchen.

Die dortigen Zustände rühren sein menschenfreundliches Herz so ungemein, dass sie ihn zwar nicht von seinen gesellschaftlichen Umtriebigkeiten abhalten (warum auch, sind diese doch viel mehr Politik als das Herumsitzen im Kongress), ihn jedoch auch nicht untätig bleiben lassen. Normalerweise hätte dies eine größere Spende an eine Hilfsorganisation zur Folge. Wilson jedoch sitzt in einem Komitee, das unter anderem zwischen CIA und diversen Regierungsorganisationen vermittelt. Und so kommt es, dass der eigentlich recht unbedeutende Provinzpolitiker mal eben ein paar durchgeknallte Geheimdienstler, die unter argem Russenhass leiden, mit denjenigen Senatoren, die die Geldtöpfe für verdeckte Operationen verwalten, zusammenbringt.

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In der Folge vervielfacht sich das Budget für CIA-Waffenlieferungen an die afghanischen Gotteskrieger, und man sieht Mudschaheddin auf dem Sofa des Oval Office sitzen und US-Senatoren in pakistanischen Flüchtlingslagern „Allahu Akbar“ rufen. Unterstützt beim politisch-sozialen Kurbeln wird Wilson von der texanischen Multimillionärin und Kommunistenhasserin Joanne Herring (Julia Roberts), die natürlich im „echten Leben“ eine sehr sehr gute Freundin der Bush-Familie ist. Das jedoch nur am Rande. Weitere Schützenhilfe (höhö) erhält unser Held vom wunderbar abgefuckten FBI-Agenten Gust Avrakotos (Philip Seymour Hoffman), der als alter Hase in Sachen Großintrige immer zur rechten Zeit am richtigen Faden zieht.

Ein Heidenspaß, das Ganze, gerade weil dies alles sich wohl mehr oder weniger tatsächlich so zugetragen hat. Wenn Sie also schon immer mal wissen wollten, wie Politik wirklich funktioniert und dabei zusätzlich noch blendend unterhalten werden wollen – Charlie Wilson ist Ihr Mann. Und achten Sie mal darauf, wie viele am Stück geschossene Einstellungen mit ellenlangen Dialogen es gibt, bei denen zumeist mehrere Drehbuchseiten abgespult werden, und die daher perfektes Timing und absolute Textsicherheit verlangen. Hier zeigt sich nämlich zumeist, welcher Schauspieler sein Handwerk wirklich beherrscht. Ich überlasse Ihnen die Entscheidung, für wen dies hier gilt und für wen doch eher nicht.

 

Zuerst erschienen auf freitag.de