— Paragraphien

Koffein und Katharsis

Käffchen?

Auf einen Kaffee mit…
ROBERT MENASSE

Robert Menasse (*1954) ist ein österreichischer Schriftsteller und Essayist. Für seinen Europaroman „Die Hauptstadt“ wurde er 2017 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

crescendo: Herr Menasse, am Beginn Ihres neuen Romans wird eine Sau durch Brüssel getrieben. Was hat es auf sich, mit diesem Tierchen?

Robert Menasse: Dies Tierchen ist natürlich metaphorischer Natur und deckt auf diese Art und Weise quasi vom Glücksschwein bis zur Drecksau alles ab, man kann von gut bis böse alles mit ihm in eine Beziehung setzen. Es kann von Schweinchen Schlau für Intelligenz stehen, ebenso wie es als Schimpfwort für politische Gegner genutzt werden kann. Zudem stimmen 98,8 Prozent seines Genmaterials mit dem des Menschen überein, was mich noch auf einer weiteren Ebene dazu gereizt hat, das Schwein im Prolog der „Hauptstadt“ auftreten zu lassen, in dem die Leser zum ersten Mal den Protagonisten begegnen.

Ich hatte zu dieser Szene auch sofort verschiedene Musiken in meinem inneren Ohr – angefangen bei der klassischen Zirkusmelodie. Wie verhält es sich denn bei Ihnen persönlich mit der Musik?

Nun, ich bin natürlich ein großer Musikliebhaber, aber das allein ist ja eher uninteressant. Interessant ist dabei vielleicht nur eines: Ich bin, glaube ich, einer der ganz wenigen Autoren, die mit Musik schreiben. Ich sitze also nicht in einem stillen Raum und schreibe, sondern ich sitze in einem Raum, in dem ich Musik auflege, die in einem Zusammenhang steht mit dem, was ich schreibe. Das wähle ich mir dann immer aus und sage: So, dies ist jetzt sozusagen der Soundtrack zu meiner Prosa.

[…]

Das ist durchaus recht interessant.

Und ich weiß von sehr vielen Kollegen, dass das extrem selten ist. Aber das ist bei mir – ich glaube fast seit den Anfängen meines Schreibens – ein Ritual. Der Soundtrack, die Filmmusik (ich nenne es tatsächlich auch so) zu dem, was sich bei mir im Kopf abspielt, was ich als Film sehe, wenn ich zu schreiben beginne. Und die moderne Technologie ist mir da auch sehr entgegen gekommen, früher musste ich mir immer mühsam eine Platte auflegen.

Und heute machen Sie sich Playlists?

Genau, heute mache ich mir Playlists. Und das ist natürlich sehr hilfreich. Auch die Einfachheit, mit der man viel größere Sammlungen anlegen kann als es vorher mit Plattenkäufen möglich war.

Also rein logistisch schon, was die Menge anbelangt?

Genau. Und dann habe ich auch noch eigene Playlists, um nach dem Schreiben sozusagen wieder runterzukommen. Wo ich mich danach nurmehr entspanne, ein Glas Wein trinke und einen Zigarillo rauche und meine Gedanken sozusagen auf den Wogen von bestimmten Musiktiteln verwehen lasse.

Das ist wirklich in gewisser Weise exotisch, also im schriftstellerischen Kontext. Andererseits aber auch total nachvollziehbar.

Ja, und man darf dabei auch nicht vergessen, ich habe angefangen zu Schreiben in einer Zeit, in der ich auch leidenschaftlich gern ins Kino gegangen bin, und das allgemein auch noch eine größere Bedeutung hatte. Kinofilme sind ja auch Narrative, und die sind dort immer mit Musik verbunden.

Eigentlich sehr folgerichtig. Trotzdem macht es niemand so, zumindest niemand, von dem ich weiß. Hätten Sie vielleicht noch ein konkretes Beispiel? Was lief beim Verfassen von „Die Hauptstadt“ für ein Soundtrack?

Da könnte ich jetzt vieles sagen, auch hier habe ich diverse Playlists gemacht. Ich sage Ihnen ein Beispiel, weil das hat mich wirklich beim Schreiben der Hauptstadt in besonderem Maße begleitet – das war die Gruppe Apocalyptica.

Ach was?

Das klingt jetzt dramatisch, also wenn Sie Apocalyptica nicht kennen, dann klingt das zynisch, wenn ich die EU beschreibe und eine Erzählung verfasse über Menschen, die in diesem Kontext arbeiten, und das dann begleitet wird von einer Band dieses Namens.

Also mir ist sie durchaus bekannt, doch.

Ah, schön. Jedenfalls eine verdammt gute finnische Gruppe, bestehend aus vier Cellisten. Das Cello ist überhaupt mein Lieblingsinstrument. Cello und Querflöte, da habe ich ganze Sammlungen. Da können Sie nehmen, was Sie wollen, da liegen Sie immer richtig bei mir. Ich muss auch sagen – und das klingt alles irgendwie komisch im Zusammenhang mit der Europäischen Union – dass ich Element of Crime sehr zu schätzen gelernt habe.

Oh, die mag ich auch sehr, zumindest die frühen Alben.

Es ist eigentlich auch erstaunlich, dass die großen, für mich sehr produktiven Soundtracks meines Denkens immer so martialische Titel haben. No Borders, No Nations beispielsweise noch. Aber das ist die Musik, die mich vor allem in letzter Zeit so begleitet.

Und in der Post-Schreib-Phase, gibt es da einen wahrnehmbaren Unterschied in der Musik, also nach dem Schreiben dann?

Ja, da lege ich mir meistens dann meine ganz alten, jetzt hätte ich fast Schellacks gesagt, also Vinylplatten auf, da habe ich schöne Aufnahmen, zum Beispiel von Bach, oder ich schätze sehr für die Post-Schreib-Phase Vivaldi. Und ich habe ein großes „Problem“ mit einem Komponisten, der mich sehr berührt, aber den ich auf eine fast selbstzerstörerische Weise nur spiele, wenn ich gerade eine Krise habe und nicht schreiben kann – und zwar ist das Schubert, und mit dem weine ich mich dann frei.

Robert Menasse: Die Hauptstadt, Suhrkamp 2017.

Erschienen in: crescendo 01 / 2018
[Plus: Online-Doppelmoppel]