— Paragraphien

Killer-Landverschickung

Meine Mutter fährt sehr gerne und regelmäßig in die belgische Kleinstadt Brügge. Dies tut sie, ihrer Aussage nach, weil es dort so pittoresk ist und überhaupt sehr schön. Es gibt ein gerüttelt Maß an Kulturschätzen, die man sich anschauen kann, gemütliche Gasthäuser, die zur Einkehr laden, und vor allem eben ein geschlossenes architektonisches Ensemble, dem die europäische Historie aus jeder Fuge quillt, so dass man aufpassen muss, nicht darauf auszurutschen, während man mit einer belgischen Waffel in der Hand durch es hindurch flaniert. Nicht zu vergessen die Pralinen- und Schokoladenmanufakturen an jeder Ecke, die meine Mutter nach einer jeden Reise dorthin Schwüre der Abkehr und Genügsamkeit leisten lassen.

Nach Brügge nun also hat es den Londoner Auftragsmörder Ray verschlagen, da bei einer seiner Unternehmungen etwas schief gegangen und nun erst einmal ein großes Füßestillhalten das Gebot der Stunde ist. Und was könnte eine größere Antithese zur Unterwelt der britischen Hauptstadt sein als der belgisch-beschauliche Touristenmagnet. Colin Farrell bietet die Rolle endlich mal wieder die Möglichkeit, auf seine Wurzeln zurückzugreifen, weshalb es keinerlei Schwierigkeiten macht, ihm den kulturbanausigen Bloke abzunehmen, dessen einzige Sorge zunächst die Sicherung des abendlichen Kneipenbesuchs ist.

Begleitet wird er von seinem etwas älteren und ergo auch welterfahreneren Arbeitskollegen Ken (der wunderbare Brendan Gleeson), der als eine Art bierbäuchige und vor allem wohlmeinende Gouvernante ein durchaus nötiges Auge auf den guten Ray wirft, der, aus gutem Grund, wie sich herausstellt, doch arg durch den Wind ist. Da die beiden zunächst bis auf das Warten auf einen Anruf vom Vorgesetzten aus London und vor allem einem unauffälligen Verhalten nicht viel zu tun haben, werden zunächst einmal die Möglichkeiten dieser Konstellation auf das Großartigste durchagiert.

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Ken nämlich möchte die Freizeit nutzen und das breitgefächerte kulturelle Angebot wahrnehmen, während Rays Agenda, wie bereits erwähnt, ein wenig simpler konstituiert ist. So amüsiert sich der Film in der ersten halben Stunde fein vor sich hin, Kirchen und Museen werden besucht, aber auch dicke Amerikaner beleidigt – immer jedoch folgt auf Kunst und Kultur das griesgrämige Gesicht des nach kühlem belgischen Biere dürstenden Ray. Ähnlich wäre es wahrscheinlich, würde ich Brügge gemeinsam mit meiner Mutter besuchen, wobei es mich dann wohl ins Museum drängte und sie zum nächsten Waffelstand. (Mutti, falls Du dies liest – es war nur für den Witz!)

Dann jedoch wird es, obwohl man sich dies durchaus auch noch länger hätte anschauen können, vollkommen wucki. In einem positiven Sinne natürlich. Es gibt Selbstmordabsichten, obskure Filmdrehs in der Altstadt, unsympathische Kleinwüchsige, amouröse Verwicklungen, einen bestcholerischen Ralph Fiennes (dessen Rolle des Arbeitgebers nebenbei noch interessante Einblicke in das Privatleben von Menschen dieses Berufsstandes gibt), Drogenexzesse, große Taten und vielleicht sogar etwas wie ein Happy End.

 

Zuerst erschienen auf freitag.de

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