Von Schwellen und Spiegeln
Michele Melillo: not titled (Affenkopf), Ölkreide und Graphit auf Papier, 21 x 29,7 cm, 2012.
Gegensätze und Kontraste, Dinge, die gegeneinander und somit auch zusammengestellt etwas
erzeugen, das über das hinaus geht, was ihre einzelnen Teile darstellen, sind ein uraltes Thema
nicht nur der bildenden Kunst. So lässt sich auch aus den Werken Michele Melillos eine Art reflexive
Dialektik lesen, und zwar die des künstlerischen Subjektes. Denn indem sich dort zeichnerische
Motive des Barock mit geradezu fauvistischen Farborgien ein Stelldichein geben, stellen sie zum
einen die Frage nach dem künstlerischen Ausdruck ihres Erzeugers (seiner Identität gar) und
spiegeln zugleich den grundsätzlichen kulturtheoretischen Diskurs der Selbstreflektivität des
Künstlers wider.
So ist es kein Zufall, dass die Epoche des Barock in gewisser Weise eine Art Schwelle im
menschlichen Denken darstellt, einen Übergang von der reinen Repräsentation von Ähnlichkeiten
und Verwandtschaften unter den Dingen (die aber immer nur auf übergeordnete Konstrukte wie
Religion und Macht verweisen), hin zu einem neuen Referenzpunkt, zu dem sich Denken und
Erscheinungen verhalten: das Subjekt. Es geht nicht mehr um die Frage der Ähnlichkeiten, sondern
um die der Identitäten und Unterschiede. Die reine Repräsentation hat ausgedient; der Mensch wird
der wichtigste Bezugspunkt und rückt als Begriff in den Vordergrund.
[…]
Diese neue historische Position des künstlerischen Subjektes hat Michel Foucault in „Die Ordnung
der Dinge“ anhand von Diego Velázquez Gemälde „Las Meninas“ (1656) dargelegt und im wahrsten
Sinne des Wortes „bebildert“. Nach Foucault läutet Velázquez’ Porträt des Königspaars und seines
Hofstaates, das durch seine ausgeklügelte Perspektive eben besagte Fragen nach der
künstlerischen Position thematisiert, symptomatisch das Ende der einen und den Anfang einer
anderen Ära ein.
Der Künstler befindet sich dort nicht mehr wirklich in der Welt der Vergleiche, sondern in der der
Spiegelungen. Der Mensch als direktes Subjekt und als alleiniger Gegenstand der Betrachtung ist
ihm aber noch verwehrt, so dass er die einzige Nicht-Repräsentation – das Königspaar – erst wieder
nur in einer Repräsentation, vielleicht sogar in einer doppelten oder dreifachen, darstellen kann.
Betrachtet man mit diesen Gedanken im Hinterkopf Michele Melillos Werke, so zeigt sich eine
aktualisierte Variante der Thematik, in der eben er, der zeitgenössische Künstler, sich wiederum
selbst (und sein Publikum) befragt nach der eigenen Position im Verhältnis von Historie, Gegenwart
und Subjekt. Die Motive des Barock verweisen auf eine Epoche, in der der Grundstein zur
Selbstwahrnehmung des Künstlers als eigenständige Instanz gelegt wurde und in der sich folglich
auch die Frage nach dem subjektiven Ausdruck als ästhetischem Wert entwickelte – und indem
diese zeichnerischen Motive dem Kontrast des exzessiven, ergänzenden Farbauftrags ausgesetzt
werden, stellen sie zugleich die Frage nach sich selbst und ihrer Herkunft sowie dem Verhältnis, das
sich dadurch zum Jetzt ergibt.
Erschienen als Begleittext zur Ausstellung À rebours in der Galerie Nicole Gnesa