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Rhizom

Nachtleib

Cinema is the ultimate pervert art. It does not give you what you desire. It tells you how to desire. // Slavoj Žižek

[…] Sie sinkt herab, bricht herein, steigt gelassen an Land, die Nacht, Tochter des Chaos. (…) Wir wissen heute, dass die Periodizität der Nacht aus der Rotation der Erde um ihre eigene Achse entsteht. Diese Rotation hat nichts mit ‹Zuneigung› zu tun, nicht einmal mit der Sonnen-Anziehung, die durch die Laufbahn um die Sonne abgelenkt werden könnte, sondern sie rührt aus ihrem eigenen Innen her: Die Eigenrotation, anders gesagt, die Wanderung der Nacht um die Erde, ist Ergebnis ihrer inneren Verdichtung – und Verdunklung – aus Gasen zu Klumpen. Wohl für die Periodizität der Nacht, nicht aber für die Dunkelheit selbst ist die Rotation entscheidend. […]

Heinz-Gerhard Friese – Die Ästhetik der Nacht

 

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WTC 1

When the numbers get so high
Of the dead flying through the sky
O, I don’t know why
Love comes to me
Love comes to me

Wie es denn dann ganz praktisch war; materiell – die roten Stücke Fleisch überall, zwischen den Resten von allem, was einmal Zusammenhang hieß und stiftete. Die roten Spuren, und (ebenso) überall der Staub, Schlieren, Glas, Gehirn, das Vorher und das Nachher und die Frage, was man zeigen sollte und wer denn hier das „darf“ definiert. Jeder Fleischrest war einmal Teil von etwas, das „Ich“ sagen konnte, dies nun aber nicht mehr tut. Schuld daran ist weder ein System (in keiner von Menschen definierten, gesetzten Kategorie wie Himmelsrichtung, Kulturkreis oder Religion), noch irgendein Subjekt innerhalb dieser Referenzbezüge, sondern bloß die überall gleiche Conditio Humana, die es sich selbst zumeist versagt, mehr meta zu denken, als es zum bloßen Überleben braucht. Auch wenn dies manchmal eben nicht für alle gilt, sowohl das mit dem Denken wie auch das mit dem Überleben, wobei es oft, aber auch wiederum nicht immer miteinander korrespondiert. Zu weit gehen ist eine Frage der Definition des Begriffes der Grenze.

Abstraktion und Praxis, die Masse und das Individuum, das Rhizom und dessen Zusammenhänge, die Unfähigkeit der meisten Subjekte, überhaupt eine Vorstellung von einer umgreifenden Struktur zu entwickeln, geschweige denn, von dort aus begreifen zu können, dass diese Struktur nicht statisch, sondern hochdynamisch ist.

Die Unterkomplexität als Voraussetzung des Glücks im Sinne des gemeinsamen Nenners der meisten, das Referenzsystem der Nivellierung, das Einpegeln auf dem mittleren Grad.

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Vielleicht, weil es dich nur als den Einen gibt, hinter dem das Viele liegt.

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WTC 5 WTC 6 WTC 7
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Bildquelle: Anonymous / documentingreality.com
See also: Die Appropriation des Anderen

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Schifffahrt

Der behandelte Gegenstand ist klar: Hans Blumenberg, Philosoph, physisch anwesend in dieser Welt von 1920 bis 1996, Lordsiegelbewahrer der Metapherntheorie und wohl von deutschen Geisteswissenschaftlern meistzitierter Geisteswissenschaftler. Gegen Ende seiner Karriere wurde er sogar Liebling der Diskurstheorie, ohne dass er selbst je deren Begrifflichkeiten verwendet hätte.

Sibylle Lewitscharoffs neuer Roman nun macht aus dem ehemals lebendigen Subjekt Hans Blumenberg, der ja bereits im Sinne der akademischen Heldenverehrung eine Art Figur war, final und literarisch eine solche. Diese Blumenbergfigur erhält eines Abends im Jahre 1982 in der dachstüblichen Arbeitsklause seines Münsteraner Hauses Besuch von einem Löwen, der plötzlich auf seinem Teppich liegt, ruhig, einfach anwesend.

Hoppla. Das Heldenverehrungsregelwerk des Akademikers will sich gegen eine derartige Profanisierung geistiger Vorbilder verwehren und schreit auf. So etwas kann doch nicht funktionieren. Fiktiv-reale Philosophenfiguren imaginieren paradigmatische Tiermetaphern. Wo kommt man denn da hin? Man stelle sich Derrida vor, wie er von einem Pudel be(heimge-)sucht wird, oder Foucault, von einem, äh, sagen wir – Greif.

Jedoch funktioniert dies hier überraschenderweise sehr gut. Der Löwe als Vater aller Metaphern wird sofort auf einer verschmitzten Metaebene wahrgenommen und eingeordnet: „Blumenberg wusste sofort, dass hier viel falsch zu machen war und nur eines richtig: abwarten und die Fassung behalten. Er wusste auch, dass in Gestalt des Löwen eine außerordentliche Ehre ihm widerfuhr, gleichsam eine Ehrenmitteilung der hohen Art war überbracht worden, von langer Hand vorbereitet und nach eingehender Prüfung ihm gewährt. Man traute Blumenberg offenbar zu, dass er in seinem schon etwas höheren Alter leichterdings damit fertig würde.“

[…]

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Der Schmerz bitterer Tränen

Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ und die Freuden der Referenz

Was also ist noch zu sagen? Cannes bereitet sich schon wieder aufs nächste Jahr vor, alle Weltpremieren sind gelaufen – die Kuh ist also nicht nur längst durchs Dorf getrieben worden, sie steht sogar bereits wieder draußen auf der Weide, angebunden an einen Kübelwagen, wenn mich mein Feldstecher nicht täuscht. Trotzdem: Ein paar Dinge sind vielleicht noch zu erwähnen, zusätzlich zu der wirklich unglaublichen Großartigkeit von Christoph Waltz, der es schafft, noch weit über die ohnehin nahtlos wunderbare Besetzung herauszuragen. Selbst Til Schweiger, der natürlich nur wieder Til Schweiger spielt, und größtenteils stumm guckt, wie er nun mal guckt, funktioniert hier bestens als Teil der Gesamtkomposition. Ähnliches lässt sich über Diane Kruger sagen, wenn auch unter leicht anderen Voraussetzungen und mit mehr Text.

Einige Fußnoten also. Wir wissen: „Inglourious Basterds“ ist ein Film über das Kino. Wollte man eine sehr gewagte These aufstellen, könnte man sogar behaupten, er sei Tarantinos „Le Mépris“. Selbstverständlich ist Tarantino mitnichten Godard, doch trotzdem haben wir es hier mit seiner bisher offensichtlichsten Liebeserklärung an das Kino zu tun, und das will etwas heißen bei jemandem, dessen bevorzugtes künstlerisches Mittel ohnehin das Spiel mit cineastischen Referenzen ist. Dies beginnt bereits mit dem Titel, der, in minimal geänderter Schreibweise, auf die englische Übersetzung von Enzo G. Castellaris „Quel maledetto treno blindato“ aus dem Jahre 1978 verweist. Im Deutschen wiederum heißt er „Ein Haufen verwegener Hunde“, was in diversen Feuilleton-Artikeln über die „Basterds“ zu Referenz-Verwechslungen mit Robert Aldrichs „Das dreckige Dutzend“ von 1967 führte.

Dieser hat jedoch, als großzügig finanzierte Hollywoodproduktion, abgesehen von dem Motiv der aus Außenseitern bestehenden Soldatentruppe, die im zweiten Weltkrieg ein Himmelfahrtskommando durchführen muss, recht wenig mit Castellaris europäischem Exploitationwerk zu tun. Jenes nämlich ist unglaublich campy und somit ein wahrer Freudenquell der halbironischen Kinorezeption. Vor allem ist hier der Aspekt der Sprache zu erwähnen, da sämtliche deutschsprachigen Rollen mit Schauspielern besetzt wurden, die der Sprache gar nicht mächtig sind, jedoch wie selbstverständlich radebrechend deutsche Sätze aus dem Skript aufsagen, was insbesondere für den Hauptdarsteller Bo Svenson gilt. Schon allein deshalb sollte man diesen Film also unbedingt im Original schauen.

[…]

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