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Tag "Rezension"

Bei dem Wort Syriana handelt es sich um einen US-amerikanischen Fachbegriff für eine mögliche Umstrukturierung des Nahen Ostens nach westlichem Vorbild, mit deren Ausarbeitung sich Organisationen wie das Komitee zur Befreiung des Irak beschäftigen, welches sich im Film in das (fiktive) Komitee zur Befreiung des Iran verwandelt und natürlich keinen anderen Zweck hat als die nötigen Bedingungen zu schaffen, um mögliche Märkte für die US-Wirtschaft zu erschließen.

Stephen Gaghan, Drehbuchautor von Traffic und Regisseur von Syriana, stieß bei Recherchen für erstgenanntes Werk immer wieder auf bemerkenswerte und auch bemerkenswert unverdeckte Verquickungen von Energiefirmen und Regierungsmitarbeitern. Zur künstlerischen Bearbeitung dieser offenen Geheimnisse fehlte jedoch noch eine dramatische Grundlage. Diese war gefunden, als Gaghan auf die Memoiren des Ex-CIA-Agenten Robert Baer stieß, der im Film von George Clooney dargestellt wird.

Mit dieser Basis und dem Handelsgut Öl als schwarz glänzendem Faden erzählt Syriana drei große und viele kleine Geschichten, die alle mit dem gleichen zu tun haben. Es geht um Macht und deren Gegenteil, um Ausbeutung und Maßlosigkeit und natürlich um Korruption. Diese sorgt dafür, dass der Wohlstand der westlichen und insbesondere US-amerikanischen Welt gesichert ist und auch bleibt.

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Schifffahrt

Der behandelte Gegenstand ist klar: Hans Blumenberg, Philosoph, physisch anwesend in dieser Welt von 1920 bis 1996, Lordsiegelbewahrer der Metapherntheorie und wohl von deutschen Geisteswissenschaftlern meistzitierter Geisteswissenschaftler. Gegen Ende seiner Karriere wurde er sogar Liebling der Diskurstheorie, ohne dass er selbst je deren Begrifflichkeiten verwendet hätte.

Sibylle Lewitscharoffs neuer Roman nun macht aus dem ehemals lebendigen Subjekt Hans Blumenberg, der ja bereits im Sinne der akademischen Heldenverehrung eine Art Figur war, final und literarisch eine solche. Diese Blumenbergfigur erhält eines Abends im Jahre 1982 in der dachstüblichen Arbeitsklause seines Münsteraner Hauses Besuch von einem Löwen, der plötzlich auf seinem Teppich liegt, ruhig, einfach anwesend.

Hoppla. Das Heldenverehrungsregelwerk des Akademikers will sich gegen eine derartige Profanisierung geistiger Vorbilder verwehren und schreit auf. So etwas kann doch nicht funktionieren. Fiktiv-reale Philosophenfiguren imaginieren paradigmatische Tiermetaphern. Wo kommt man denn da hin? Man stelle sich Derrida vor, wie er von einem Pudel be(heimge-)sucht wird, oder Foucault, von einem, äh, sagen wir – Greif.

Jedoch funktioniert dies hier überraschenderweise sehr gut. Der Löwe als Vater aller Metaphern wird sofort auf einer verschmitzten Metaebene wahrgenommen und eingeordnet: „Blumenberg wusste sofort, dass hier viel falsch zu machen war und nur eines richtig: abwarten und die Fassung behalten. Er wusste auch, dass in Gestalt des Löwen eine außerordentliche Ehre ihm widerfuhr, gleichsam eine Ehrenmitteilung der hohen Art war überbracht worden, von langer Hand vorbereitet und nach eingehender Prüfung ihm gewährt. Man traute Blumenberg offenbar zu, dass er in seinem schon etwas höheren Alter leichterdings damit fertig würde.“

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Der Schmerz bitterer Tränen

Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ und die Freuden der Referenz

Was also ist noch zu sagen? Cannes bereitet sich schon wieder aufs nächste Jahr vor, alle Weltpremieren sind gelaufen – die Kuh ist also nicht nur längst durchs Dorf getrieben worden, sie steht sogar bereits wieder draußen auf der Weide, angebunden an einen Kübelwagen, wenn mich mein Feldstecher nicht täuscht. Trotzdem: Ein paar Dinge sind vielleicht noch zu erwähnen, zusätzlich zu der wirklich unglaublichen Großartigkeit von Christoph Waltz, der es schafft, noch weit über die ohnehin nahtlos wunderbare Besetzung herauszuragen. Selbst Til Schweiger, der natürlich nur wieder Til Schweiger spielt, und größtenteils stumm guckt, wie er nun mal guckt, funktioniert hier bestens als Teil der Gesamtkomposition. Ähnliches lässt sich über Diane Kruger sagen, wenn auch unter leicht anderen Voraussetzungen und mit mehr Text.

Einige Fußnoten also. Wir wissen: „Inglourious Basterds“ ist ein Film über das Kino. Wollte man eine sehr gewagte These aufstellen, könnte man sogar behaupten, er sei Tarantinos „Le Mépris“. Selbstverständlich ist Tarantino mitnichten Godard, doch trotzdem haben wir es hier mit seiner bisher offensichtlichsten Liebeserklärung an das Kino zu tun, und das will etwas heißen bei jemandem, dessen bevorzugtes künstlerisches Mittel ohnehin das Spiel mit cineastischen Referenzen ist. Dies beginnt bereits mit dem Titel, der, in minimal geänderter Schreibweise, auf die englische Übersetzung von Enzo G. Castellaris „Quel maledetto treno blindato“ aus dem Jahre 1978 verweist. Im Deutschen wiederum heißt er „Ein Haufen verwegener Hunde“, was in diversen Feuilleton-Artikeln über die „Basterds“ zu Referenz-Verwechslungen mit Robert Aldrichs „Das dreckige Dutzend“ von 1967 führte.

Dieser hat jedoch, als großzügig finanzierte Hollywoodproduktion, abgesehen von dem Motiv der aus Außenseitern bestehenden Soldatentruppe, die im zweiten Weltkrieg ein Himmelfahrtskommando durchführen muss, recht wenig mit Castellaris europäischem Exploitationwerk zu tun. Jenes nämlich ist unglaublich campy und somit ein wahrer Freudenquell der halbironischen Kinorezeption. Vor allem ist hier der Aspekt der Sprache zu erwähnen, da sämtliche deutschsprachigen Rollen mit Schauspielern besetzt wurden, die der Sprache gar nicht mächtig sind, jedoch wie selbstverständlich radebrechend deutsche Sätze aus dem Skript aufsagen, was insbesondere für den Hauptdarsteller Bo Svenson gilt. Schon allein deshalb sollte man diesen Film also unbedingt im Original schauen.

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Fangen wir doch heute einmal ausnahmsweise mit einer Plattitüde an. Und zwar der folgenden: „Die besten Geschichten schreibt das Leben.“ Worauf beispielsweise der Literaturwissenschaftler fragen würde: „Ja klar, wer denn sonst?“. Einer der vielen unterhaltsamen Aspekte von Plattitüden und auch Klischees ist aber ja, dass sie zumeist einen wahren Kern in sich bergen. Unser heutiges cineastisches Glanzstück, welches ich hier völlig ironiefrei derart bezeichnen möchte, nimmt die narrativ ohnehin vollkommen schwammigen Grenzen zwischen Fiktion und Realität, die doch immer nur mehr von einem frommen Wunsch nach einer leichteren Erfassung der Komplexität unserer Welt als von tatsächlich vorhandenen Trennlinien zeugen, und schleudert sie verknotend über die Hecke, hin zum Nachbarn, der dann mal sehen kann, was er damit anfängt.

Oder, etwas weniger schwurbelnd: „Der Krieg des Charlie Wilson“ erzählt eine in ihrer Absurdität absolut ausgedacht wirkende Geschichte, die aber wohl nichts weniger ist als die Darstellung der praktischen Geschehnisse und Verquickungen, die in den 80er-Jahren zum Widerstandskrieg in Afghanistan und schließlich zum Rückzug der russischen Truppen geführt haben. Der 2010 verstorbene Charles Nesbitt „Charlie“ Wilson (Tom Hanks) nämlich, damals texanischer Kongressabgeordneter, ist in seiner Funktion zunächst hauptsächlich damit beschäftigt, die Vorteile eben dieser zu genießen und den Hedonismus, den ein solches Leben im Washington dieser Epoche bietet, in vollen Zügen auszukosten. Zufällig jedoch gerät er auf einer eigentlich nur pflichtgemäß abgehakten diplomatischen Reise nach Pakistan in ein Flüchtlingslager von Afghanen, die vor der einmarschierten Roten Armee Zuflucht suchen.

Die dortigen Zustände rühren sein menschenfreundliches Herz so ungemein, dass sie ihn zwar nicht von seinen gesellschaftlichen Umtriebigkeiten abhalten (warum auch, sind diese doch viel mehr Politik als das Herumsitzen im Kongress), ihn jedoch auch nicht untätig bleiben lassen. Normalerweise hätte dies eine größere Spende an eine Hilfsorganisation zur Folge. Wilson jedoch sitzt in einem Komitee, das unter anderem zwischen CIA und diversen Regierungsorganisationen vermittelt. Und so kommt es, dass der eigentlich recht unbedeutende Provinzpolitiker mal eben ein paar durchgeknallte Geheimdienstler, die unter argem Russenhass leiden, mit denjenigen Senatoren, die die Geldtöpfe für verdeckte Operationen verwalten, zusammenbringt.

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Schon wieder eine Stadt im Titel, wie mir gerade auffällt. Vicky und Cristina aus Amerika fliegen nämlich nach Barcelona, und aus diesen drei Entitäten besteht auch der Titel von Woody Allens Film, den das ZDF [nicht] heute Abend um 22:15 Uhr in seiner Reihe „Sommernachtsphantasien“ zeigt. Sommernachtsphantasien! Hüstel. Na ja, immerhin wird beim ZDF „Phantasie“ noch mit „ph“ geschrieben, das ist einnehmend, auch wenn diese seltsame Schwurbelklammer, ebenso wie die Einordnung „Erotikkomödie“, hier nicht wirklich passend scheint. Vielmehr haben wir es mit einer gleichzeitigen Dekonstruktion von Klischees und raffinierten Verbeugung vor der Unberechenbarkeit der Liebe, der körperlichen Anziehung und all den Schattierungen dazwischen zu tun. Klischees nicht nur über die Liebe, sondern auch über die Kunst, über Amerikanerinnen und Amerikaner, und sogar über das Klischeedenken selbst.

Doch um etwas zu dekonstruieren, muss es zunächst abgebildet oder gar erschaffen werden. Hier ist es die anfangs klassisch erscheinende Konstellation von zwei jungen Dingern aus den USA, die für zwei Monate die Möglichkeit bekommen, im feurigen Barcelona (Laue Sommerabende! Gitarrenmusik!) in der Stadtvilla entfernter Freunde der Familie des einen jungen Dinges zu residieren. Das selbige junge Ding, Vicky nämlich, dargestellt von Rebecca Hall, schreibt gerade an ihrer Magisterarbeit über die „katalanische Identität“, wie die süffisante Erzählstimme aus dem Off schildert, ist jedoch hauptsächlich damit beschäftigt, sich mental auf die bevorstehende Hochzeit mit ihrem langjährigen, bodenständigen Freund vorzubereiten. Haus in den Hamptons, Polohemden und Verabredungen zum Golfspielen und mit Innenarchitekten zeichnen sich bereits am Horizont und auch personifiziert im Gastgeberehepaar ab. Ob diese Aussichten nun positiv oder negativ zu bewerten sind, bleibt eine Frage des Blickwinkels, auch und besonders des von Vicky selbst, wie sich zeigen wird.

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