Der Titel des achten Romans von Pierre Lemaitre, Wir sehen uns dort oben (im Original Au revoir là-haut), ist dem Brief eines französischen Soldaten entnommen, den dieser kurz vor seiner Exekution als angeblicher Kriegsverräter im Jahre 1914 schrieb. Jedoch auch ohne Kenntnis dieses Details setzt der kurze Gruß eine signifikante thematische wie auch emotionale Klammer um die Handlung des Buches. Im vergangenen Jahr mit Frankreichs bekanntestem Literaturpreis, dem Prix Goncourt ausgezeichnet, porträtiert Wir sehen uns dort oben eine Gesellschaft, die darum bemüht ist, ihre Toten zu ehren und unterdessen ihre Lebenden, die Veteranen, vergisst. Mit seinem vergleichsweise schnellen Tempo und der Einflechtung von zeitgenössischem „Slang“ der 1920er-Jahre ist der Text dabei eher mit Lemaitres älteren Werken, allesamt erfolgreiche Kriminalromane und Thriller, zu vergleichen, und setzt sich damit auf untypische Weise ab von den meisten preisgekrönten Romanen der jüngsten Vergangenheit.
Wir sehen uns dort oben verknüpft zwei Erzählstränge miteinander, die beide am 2. November 1918 beginnen, kurz vor dem Waffenstillstand. Henri d’Aulnay-Pradelle, ein adeliger Leutnant der französischen Armee, hofft vor dem sich bereits deutlich abzeichnenden Ende des Krieges noch ein wenig Ruhm zwecks Förderung der eigenen Offizierskarriere einstreichen zu können, indem er seiner Einheit Befehle gibt, die ein taktisch eigentlich unnötiges Gefecht mit deutschen Truppen provozieren sollen. Dazu sucht er jeweils das jüngste wie das älteste Mitglied des Bataillons als Vorhut aus und schießt beiden während ihres Vorrückens heimlich aus der Deckung in den Rücken, um so den Rest seiner Männer, die dies für das Werk des Feindes halten, zum Angriff zu motivieren.
Zwei der Soldaten, Albert Maillard und Édouard Péricourt, sind zwar Zeugen von Pradelles „Methode“, werden jedoch kurz darauf beide schwer verwundet. Im Erdreich verschüttet, wird Albert von Édouard das Leben gerettet, indem dieser auf Alberts Körper springt, um so sein Herz zum Weiterschlagen zu animieren. Genau in diesem Moment trifft Péricourt ein Granatsplitter, der sein Gesicht beinahe vollständig zerstört.
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