— Paragraphien

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Tag "Die Stadt als Text"

Ich frage mich, ob Baudrillard jemals in München war. Natürlich ist es müßig, über das Artifizielle dieser Stadt zu schreiben, und natürlich ist es unmöglich, absolute Standortbestimmung betreiben, in welcher möglichen Welt auch immer, ist doch alles immer nur Su(b)je(k)t und nie mehr als konstruierte Position, Behauptung und Erzählung. Trotzdem – mehr ist nicht da, selbst wenn die Pfade einmal nicht verschneit sind. Wir hangeln immer nur in der Leere umher und setzen willkürlich Fahnen ins Grün. Oder berühren die Tatzen metallener Löwen nahe Kirchen, Parks und botanischer Gärten, unter weißblauem Himmel.

“Das geheimgehaltene Denken ist das entscheidende, hatte ich zu Gambetti gesagt, nicht das ausgesprochene, nicht das veröffentlichte, das mit dem geheimgehaltenen sehr wenig, meistens überhaupt nichts gemeinsam hat und immer ein viel niedrigeres ist, als das geheimgehaltene, welches doch immer Alles ist, während das veröffentlichte, wie wir wissen, nur das notdürftigste ist.” // Thomas Bernhard – Auslöschung

Von diesem gleißt die Sonne hinab und vor der Theatinerkirche schreit eine Frau umher, doch selbst diese Art der obligatorischen Stadterscheinung wirkt hier nicht authentisch, sondern viel zu gut gekleidet, viel zu professionell in der Performanz des Zeterns und damit viel zu verstörend im diskursiven Ensemble dieser wahrlich barocken Theatermaschinerie. [Siehe dazu auch Freud und die hölzernen Krokodile im dunklen Wohnzimmer.]

Im Franziskaner Weißbierhaus saßen kurz zuvor am gleichen Tag drei statt zwei kleine Italiener, die exakt so, wie man es erwarten würde, die bedirndelte Bedienung anraunzten, warum denn keine italienischsprachige Speisekarte vorhanden sei – welche diese dann natürlich umgehend reichte. Die drei kleinen Italiener trugen rot-weiß geringelte Mohairpullover, Pilotensonnenbrillen und mehr Gel als Haar; bestellten dann drei Halbe. Natürlich.

In der Vorhalle des Hauses der Kunst muss man aufpassen, nicht auf die Hände der Menschen zu treten, die auf allen Vieren aus den bis zu hausgroßen, rosa maikäferförm- und mustrigen Installationen der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama heraus- und in sie hineinkrabbeln; in den restlichen Räumen muss man aufpassen, nicht irrtümlich zu denken, dass man sich in die Wanddekorationsabteilung eines bekannten schwedischen Möbelhauses verlaufen hätte. Und dies gar nicht einmal ob der vielen Kinderwagen und Luftballons.

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